»Schau!« Tayfun blieb stehen. Als Lea den Kopf hob, traf sie den Blick eines kleinen Mädchens unter einem Schirm in den Farben des Regenbogens. Es streckte ihr die Hand entgegen. »Wie schön!« Das gigantische Wandbild zog sich hinter einem zugemüllten Parkplatz drei, vier Stockwerke hoch über eine Mauer. »Wunderschön!« Auf einen Schlag war die Hässlichkeit des maroden Stadtteils verflogen. (Lichtblau #mavi, S. 59/60)
Das Mädchen unter dem regenbogenfarbenen Schirm stand mir lebendig vor Augen, als ich Lea zum ersten Mal nach Rasimpaşa/Yeldeğirmeni schickte. Gern hätte ich es auf dem Cover gesehen, doch ich fand es nicht wieder. Und hatte ich nicht schon 2015 Selen gesagt, wie sehr ich mir wünsche, dass sie das Cover für mein neues Buch gestaltet?
Selen Özer Günday ist freie Fotografin, sie hat die Abteilung Fotografie der Istanbuler Mimar-Sinan-Universität für Schöne Künste absolviert, ihre Fotografien von Konzerten, Räumen und Reisen* sowie Portraitaufnahmen erscheinen in Magazinen und Büchern und wurden in diversen Ausstellungen gezeigt. Ihr Schwerpunkt liegt auf experimenteller Fotografie, auf ihrem Blog und auf ihrem Instagram-Account könnt ihr verfolgen, an welchen Projekten sie gerade arbeitet. Jüngst war sie etwa bei #KoronaGünlerindeFotograf (Fotografie in Corona-Tagen) dabei. Von Selen stammen auch die einzigartigen Fotos der Gezi-Proteste in unserer literarischen Anthologie Gezi.

Im Herbst 2015 stromerten wir zusammen durch das Sanierungsviertel Yeldeğirmeni im Stadtteil Kadıköy auf der asiatischen Seite von Istanbul. Selen wies mich nicht nur auf Perlen der StreetArt im Quartier hin, sondern auch auf die zunehmende Gentrifizierung. Das Thema integrierte ich sofort in den Roman, den ich damals in Arbeit hatte. Und als Lichtblau #mavi dann fertig war und die Cover-Frage anstand, fragte ich Selen, ob sie in ihrer fantastischen Sammlung von Graffiti, StreetArt und Murals nicht auch das Mädchen mit dem Regenbogenschirm habe. Das hatte sie zwar nicht, bot aber sogleich an, kurzfristig noch einmal nach Yeldeğirmeni zu fahren und sich umzuschauen. Wenige Tage später schickte sie mir eine Handvoll toller neuer Fotos. Das Schirm-Mädchen hatte auch sie nicht wiedergefunden, vermutlich ist es den Weg der meisten Murals dieser Welt gegangen: übermalt oder zugebaut, jedenfalls verschwunden. Dafür war das Sonnenblumenmädchen dabei. Und im Verlag** war Selens Foto sogleich der Favorit, aber bitte in „Lichtblau“! Nun standen zwei Cover zur Auswahl:


Das gerade stehende Gebäude wäre ein 08/15-Cover geworden, das nicht unbedingt zu einem zweiten Blick herausgefordert hätte. War aber in der Türkei wie auch im Roman nicht gerade alles im Umbruch? So fiel die gemeinsame Entscheidung für das schräge Gebäude, und ich freue mich darüber, ebenso wie über die Zusammenarbeit mit Selen! Daha nicelere…
* Fotografien von Selen Özer Günday zu Texten von Hakan Günday u.a. in Atlas Dergisi, z.B. New York 2015 am Jahrestag des 11. September und Barcelona 2016.
**Die Gestaltung des Covers im Verlag übernahm die Grafikerin Annelie Lamers, danke!