Demirs Meyhane

Erinnert ihr euch an Sibels strengen, strenggläubigen Vater in Gegen die Wand oder den Hodscha in 40 Quadratmeter Deutschland, an den Mann mit der markanten Stimme und dem weißen Rauschebart? Demir Gökgöl, der Schauspieler und Rezitator, der alles andere als streng und strenggläubig war, wäre heute, am 15. Juli, 85 geworden. In Lichtblau#mavi habe ich ihm ein kleines Denkmal gesetzt. Zweimal versuchte er, seinen Traum von einer Jazzkneipe zu verwirklichen, ging aber „mit Pauken und Trompeten unter“, wie er sagte. Doch das war es, wovon er weiter träumte. In meinem Roman betreibt er als „Demir Abi“ ein Meyhane im Istanbuler Szeneviertel Beyoglu: Demirs Meyhane.

Ich lernte ihn vor Jahrzehnten kennen, als er mich wegen einer Übersetzung für das Drehbuch eines befreundeten Regisseurs ansprach. Später dann waren wir mehrfach mit Lesungen aus Büchern der Türkischen Bibliothek unterwegs, stets von einem Musiker begleitet. Aus dem gemeinsamen Tingeln, dem Reisen von Veranstaltung zu Veranstaltung entwickelte sich etwas wie eine Freundschaft.

Er war so vieles: ein halber Aserbaidschaner in Istanbul, in Wien ausgebildeter Schauspieler, Technischer Sachbearbeiter, ein „Salonkommunist“, der sich zum Leidwesen des Vaters nur für Literatur interessierte, ein Juliette-Grèco-Fan, der auf dem Weg nach Paris in Hamburg hängen blieb … Und zweifellos einer der besten Nâzım-Hikmet-Rezitatoren unserer Zeit. „Literatur ist in dieser geldhungrigen oder religiös-fanatischen Welt die Rettung“, meinte er und stellte sein Wirken außerhalb von Film und Broterwerb in den Dienst eben dieser Literatur. Er bedauerte, nicht selbst zu schreiben, war aber stolz darauf, Interpret zu sein. „Als ich sechzig Jahre alt war, wurde es mein Beruf, die toten, ermordeten, verfolgten Dichter bekannt zu machen.“ Auch von einem multikulturellen Buchladen, der „fehlt in Hamburg“, und einem Literaturcafé „für alle Künste“ träumte er.

Gern saß er die letzten Jahre bei Abidin auf dem Anleger 1870 an der Mundsburger Brücke in Hamburg, feierte hier auch seine letzten Geburtstage mit Freunden. Er wollte das Leben genießen, konnte das Rauchen und Trinken nicht lassen, was ihm letztlich wohl das Leben gekostet hat. Viel zu früh, er war erst 75, als er vor zehn Jahren im März 2012 nach langem Leiden starb. Er wollte in Hamburg begraben werden, doch seine „Seele wird immer in Istanbul sein …“

Nur einen Teil seiner Träume konnte er verwirklichen, schaffte es auch nicht nach Paris oder Italien, obwohl er doch die mediterrane Lebensart so liebte. Als eine Art letzten großen Wunsch formulierte er: „Als alter Mann in einem Film klugscheißerisch Weisheiten sagen, die von jedem angenommen werden.

Nicht im Film, aber in meinem Roman kann er nun als väterlicher Inhaber eines Meyhane, eine Art türkische Taverne, mit großer Sympathie und Empathie nicht zuletzt für die jungen Protestierenden von Gezi seine Weisheiten sagen, keineswegs „klugscheißerisch“, vielmehr in seiner subtil humorvollen Art, wie ich ihn kannte. Dieses kleine Denkmal ist seiner nicht würdig, doch ich denke, er hätte sich trotzdem darüber gefreut.

In seinen Filmen lebt er weiter, seine Rezitationen gibt es auf CD, doch zweifellos: Du fehlst, Demir …

Zitate aus:

Michael Richter: Gekommen und geblieben. Deutsch-türkische Lebensgeschichten. Hamburg 2003.

taz-Interview: „Ich wollte über den Balkon abhauen“ von Ralf Lorenzen, 30.08.2009.

Foto © M. Kemal Adatepe.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: